9. Mai 2003 im Kunstverein Wilhelmshöhe Ettlingen
Der Preisträger des Wolfgang-Hartmann-Preises 2003 ist WINDBEUTEL, eine Projektgruppe aus Stuttgart mit zwei Kunsthistorikern und drei Künstlern gegründet im Juni 2002:
1) Katharina Jesberger (*1979 in Erlenbach am Main), Kunstgeschichtestudentin bei Prof. Beat Wyss in Stuttgart und Prof. Gottfried Boehm in Basel
2) Ralf Milberg (*1978 in Stuttgart), Kunstgeschichtestudent in Stuttgart, engagiert in der Stuttgarter Indie-Musikszene u.a. mit Bands wie Longjumpmin, Stale, Navel, Velvet First Floor
3) Inna Poltorychin (*1977 in Nerjungri, RUS), emigrierte 1991 aus Russland nach Stuttgart, studiert seit 1998 Kunsterziehung an der AbK Stuttgart; aktuelle Ausstellung mit dem Projekt Retrograde Strategien von Georg Winter, zum 175-jährigen Jubiläum im Württembergischen Kunstverein bis 12.01.2003
4) Ruby Sircar (*1975 in einer deutsch-indischen Familie in Stuttgart), Studium der Kunsterziehung an der AbK Stuttgart; promoviert derzeit bei Ute Meta-Bauer (AbK Wien) und Sarat Chandra Maharaj (Goldsmiths University London), den beiden Co-Kuratoren der documenta 11, zum Thema Identitätskonstitution in sonischen und medialen Produktionen der zweiten asiatischen Generation in Europa; ihr erstes Ausstellungsprojekt amp (asiatic mode of production) startete 2000 im Künstlerhaus Stuttgart; Ruby Sircars Arbeit im Internet: www.b-sides.net
5) Daniel Vujanić (*1975 in einer bosnisch-dalmatinischen Familie in Stuttgart), freier Autor und Musiker; Veröffentlichungen: Panoramakonzentrate und Lautsprecheranthologien 2-4, beide erschienen beim Lautsprecherverlag Stuttgart, Metastabil/Stadt Rand Bild (Leeremenge); Mileva "Stories Survive Sequels" (LP/CD 2002)
.... Herausragend ist bei dem "work in progress" der 5 Stuttgarter Künstler und Kunsthistoriker die gleichberechtigte Zusammenarbeit von Theorie und Praxis ohne feste Rollenaufteilung zwischen Kurator und Künstler sowie die Verzahnung von inhaltlich und künstlerisch unterschiedlichen Ausgangspunkten. Es wird keine Gruppenausstellung von drei Einzelbeiträgen erstrebt, sondern eine Gruppenarbeit, in der sich die einzelnen inhaltlichen Positionen erhalten und ergänzen, mit den unterschiedlichen Medien Zeichnung, Filmstill, Video- und Soundinstallation.
Geplant ist auch eine Reihe von Vorträgen, Lesungen, Musik- und Filmprojekten der Künstler und Kunsthistoriker sowie geladener Gäste während der Ausstellung.
Zu WINDBEUTEL und zur Ausstellung wird in den nächsten Wochen eine Website unter der Adresse www.wibeu.de ins Netz gehen.
Die Stuttgarter Projektgruppe Windbeutel präsentiert unter dem Titel wohingegens ihren Ansatz zur Frage "Was passiert mit den Identitäten?". Ausgangspunkt für das Projekt ist das Aufeinandertreffen von KunsthistorikerInnen und KünstlerInnen, die aus unterschiedlichen Produktions- und Diskursfeldern kommen, ohne die gewohnte Rollenaufteilung. Die Diskussion als unsere Arbeitsgrundlage stellt eine kontinuierliche Bestandsaufnahme im ständigen work in progress dar. Dieses zugrundeliegende Kommunikationsforum dient dem "Erörtern" von fünf Positionen, die sich in unterschiedlichen Medien textlich, bildlich oder klanglich artikulieren und wiederum die Selbstpositionierung des Rezipienten herausfordern.
Unser Ziel ist, sich im Dialog den Themen zuzuwenden, die unserer jungen Generation aktuell erscheinen, und diese durch Kunst und ihre angemessene Präsentation erfahrbar zu machen. Unsere Arbeitsweise soll nicht darin bestehen, eine theoretische These mit bereits gegebenen künstlerischen Werken zu belegen, sondern darin, Impulse aus unserem Umfeld aufzunehmen und diese künstlerisch und parallel theoretisch zu erfassen.
Die Verzahnung der Einzelpositionen ergibt sich durch deren Überlagerung theoretisch und praktisch in allen Präsentationsorganen der Gruppe: auf der Website, während der Ausstellung und in dieser Publikation. Das gemeinsame Fundament unserer Gruppe, die Diskussion, wird durch das Interview vertreten. Dadurch werden konzeptionell die Beziehungen in der Projektgruppe und im Identitätsbild thematisiert, die Zusammensetzung aus Einzelkomponenten oder -positionen, die in Beziehung stehen und sich überlagern, das Hinterfragen von Verflechtungen, Schein und Authentizität.
Anhand von Texten, Film und Musik deckt Ruby Sircar am Beispiel der zweiten Generation von AsiatInnen die Identitätsentstehung als künstliches Konstrukt der Popularmedien auf. Inna Poltorychin zeichnet Personen nach fotografischer Vorlage auf Karteikarten oder übereinandergeschichtetes Transparentpapier. Die Zeichnungen hinterfragen die Substanz der Erinnerung aus einer Zeit vor der Emigration. Daniel Vujanić verarbeitet Samples, unter anderem aus alten Schellackplatten. In einer Soundinstallation thematisiert er das Verwischen, Verfremden, Verlieren, Wiederfinden und Vermischen von Spuren im zeit- und ortlosen Raum.
Katharina Jesberger beschreibt, wie das "Ich" eine Komplexität an nicht-verortbaren Komponenten in Veränderung beinhaltet. In wohingegens sieht sie subjektive Antworten auf die Frage nach der Identität formiert, die flüchtig in einem subjektiven Empfinden zusammentreffen. Sie hält dabei ein allgemeingültiges, universalistisches Regelwerk für die Menschheit für eher problematisch.
Ralf Milberg beschäftigt sich mit der Frage nach der Übermittlung von Wirklichkeit durch Kunst oder Indexikalität in der Postmoderne. Zwischen Individualismus und Universalismus sucht er in wohingegens den gemeinsamen Nenner, das relevante Derivat aus der Masse unserer Alltagsinformationen.
Ausgehend davon, dass Identität "derselbe sein" bedeutet, müsste die vollständige Antwort auf die Identitätsfrage immer "ich bin ich" lauten. Eine Bestimmung dessen, was man ist, erfolgt offensichtlich leichter durch ein Ausgrenzen dessen, was man nicht ist. Kunst kann dabei ein gedankliches Konfrontieren mit den eigenen Vorurteilen eröffnen.
Im Unterschied zu anderen Kulturtheorien, möchten wir nicht die differenzierenden Spuren des Kunstwerks zurückverfolgen, sondern ein Moment gemeinsamer Überschneidungen im Hier und Jetzt veranschaulichen.